HeyGen – Es wäre für mich die Rettung gewesen!

Rabi Metety teilt seine Erfahrungen als ausländischer Schüler in Deutschland vor über 23 Jahren. Er betont die Bedeutung der Wertschätzung von Migrantensprachen, um Barrieren abzubauen. Metety stellt HeyGen vor, eine KI-Plattform zur Videotranslation, und tools.forbizz.com, das Transkriptionen für barrierefreien Zugang erstellt. Er sieht KI als potenzielle Rettung für ausländische Schüler und ermutigt dazu, KI-Tools bewusst im sprachsensiblen Unterricht einzusetzen.

Es kommt mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen, als ich vor gut 23 Jahren zum ersten Mal eine deutsche Schulklasse betrat. Ich war 9 Jahre alt und sollte die zweite Klasse einer bayerischen Grundschule besuchen. Als ich das Klassenzimmer betrat, sah ich, dass bereits alle Schülerinnen und Schüler an ihren Plätzen saßen und der Unterricht in vollem Gange war. Der Lehrer zeigte auf einen freien Platz, und ich verstand, dass ich mich dort hinsetzen sollte. Während ich zu meinem Platz ging, warf ich einen Blick auf das Klassenzimmer. Es war sehr groß, verdammt undbunt. Es wirkte auf mich wie aus einem Bilderbuch, weil es so freundlich gestaltet war.

Soweit ich mich erinnern kann, konnte ich zu dieser Zeit kein einziges Wort Deutsch sprechen. Umso erstaunlicher war es für mich, dass der Lehrer fließend Deutsch mit mir sprach. Er war sehr freundlich und tat so, als ob ich ihn verstehen könnte. Zu dieser Zeit lernte ich nett zu lächeln und mit dem Kopf zu nicken, auch wenn ich von allem, was um mich geschah, keinen blassen Schimmer hatte. In meiner ersten Schulstunde wurde Mathematik unterrichtet. Wahrscheinlich denken Sie jetzt, dass dies kein guter Start ins neue Schulleben war. Damit haben Sie auch vollkommen recht. Wer weiß, vielleicht hat meine Angst vor Mathematik ihren Ursprung in dieser Situation.

Ich kann es kaum glauben, wir waren erst in der zweiten Klasse, und es ging schon tatsächlich um Multiplikation. Der Lehrer legte mir ein Blatt auf den Tisch und zeigte es auf seinen Kopf, während er mehrmals mit dem Finger gegen seine Schläfe tippte. Ich war schockiert, weil er mich offensichtlich als einen Idioten bezeichnete. Ich war so überrascht, dass ich mich nicht traute, mich umzudrehen, um die Reaktion der anderen Kinder zu sehen. Aus meinem Heimatland war mir bereits bekannt, dass Lehrerpersonen gemein und gewalttätig sein können, aber dass ein Lehrer ein fremdes Kind, das noch dazu nichts gesagt hat, so spöttisch behandelt, war selbst für meine bisherigen Erfahrungen in einem autoritären irakischen Schulsystem merkwürdig.

Als ich an diesem Tag nach Hause kam, erzählte ich natürlich sofort meinen Eltern von diesem allgemeinen Lehrer. Meine Eltern konnten nicht glauben, dass er mich beleidigen wollte. Ich beteuerte aber immer wieder, dass er mit seinem Finger auf seinen Kopf getippt und mich dabei direkt angeschaut hatte. Erst nach vielen Wochen verstand ich, dass das Antippen auf dem Kopf in Deutschland auch ein Zeichen von „du sollst es auswendig lernen“ bedeuten kann.

Diese Geschichte aus meinem Leben soll verdeutlichen, wie unsicher sich Kinder und Jugendliche in ihrer Schulumgebung fühlen können und wie schnell neue Missverständnisse entstehen können. Sie kennen weder das fremde Sprachsystem noch die kulturellen Normen des kommunikativen Handelns in der neuen Umgebung. Immer wieder entstehen Kommunikationsprobleme und Barrieren aufgrund der Sprache und des vorherrschenden monolingualen Habitus in der Schule. Kinder und Jugendliche, die beispielsweise aus Syrien stammen, können sich kaum vorstellen, dass ein deutscher Lehrer ihre Muttersprache beherrscht. Wie wäre es, wenn der Lehrer bei der ersten Begegnung mit ausländischen Schüler*innen ihre Erwartungen und die Erwartung ihrer Eltern übertrifft?! Es hätte definitiv das Potenzial, Lernende angenehm zu überraschen, auch –Erwartungsmuster zu durchbrechen –, wenn es gelingt, die Muttersprache zur persönlichen Ansprache das ein oder andere Mal im formalen schulischen Kontext zu nutzen.

Sowohl die Betroffenen als auch ihre Klassenkameraden würden wissen, dass die Lehrkraft verschiedener Sprachen wertgeschätzt wird und nicht nur die prestigeträchtigen Bildungssprachen wie Englisch, Spanisch oder Französisch oder die Sprache des neuen Heimatlandes. Die Herkunftssprache eines geflüchteten Kindes oder Jugendlichen ist eine Kompetenz, die der Betroffenen als ganz natürlich zu sich dazugehörig betrachtet und die eine identitätsstiftende Funktion für den Sprecher hat. Betroffene Schülerinnen würden sich zu einem Lehrer, der ihre Herkunftssprache wertschätzte und sie gelegentlich sogar im Unterricht integriert, emotional verbunden fühlen. Allerdings kann von der Lehrkraft nicht verlangt werden, neue Sprachen zu lernen.

Hier kommt die künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Hier habe ich HeyGen entdeckt. Diese Plattform nutzt künstliche Intelligenz, um Videos zu übersetzen und sogar die Lippenbewegungen des Sprechers anzupassen. Die Stimme bleibt erhalten, und der Zuschauer merkt erst bei genauerer Betrachtung, dass es sich um ein mit Hilfe von KI übersetztes Video handelt. HeyGen unterstützt Übersetzungen in mehreren Sprachen, darunter Türkisch, Arabisch, Hindi, Polnisch und Italienisch. Es ist zuzunehmen, dass in Zukunft noch viele weitere Sprachen hinzukommen, die von der KI übersetzt werden können.

In diesem Kapitel des Buches finden Sie ein Video, das mithilfe von HeyGen übersetzt wurde. Die Originalsprache, in der das Video aufgenommen wurde, ist Deutsch. Mit Hilfe von HeyGen wurde es auf Türkisch übersetzt. Eine weitere KI-Assistenz für Sprache, die im Kontext eines sprachsensiblen Unterrichts eingesetzt werden kann, findet sich unter tools.forbizz.com. Über dieses Programm ist es möglich, dass Kinder und Jugendliche trotz fehlender Sprachkenntnisse in der jeweiligen Zielsprache beispielsweise eine Dokumentation oder ein Video verstehen können. Das Video muss zunächst auf die Festplatte heruntergeladen werden, dann wird es unter der Spalte „KI-Assistenz für Sprache“ hochgeladen. Mit einer YouTube- oder Vimeo-URL muss das Video nicht heruntergeladen werden, sondern kann stattdessen in das dafür vorgesehene Feld eingefügt werden. Daraufhin erstellt die automatische Spracherkennung innerhalb weniger Minuten eine Transkription des hochgeladenen Videos oder der aufgenommenen Audiodatei. Tonspuren können so in Textform umgewandelt werden. Mit schriftlichen Skripten kann der Lehrer für barrierefreien Zugang sorgen. Der transkribierte Text kann anschließend mithilfe von „ChatGPT“ oder „Deep Translate“ in die gewünschte Sprache übersetzt werden. Durch dieses Vorgehen werden Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern nicht sofort mit der Notwendigkeit konfrontiert, die deutsche Sprache zu erlernen. Stattdessen können sie sich auf die Menschen und ihre neue Umgebung einlassen.

Es gibt sicherlich noch viele weitere KI-Tools, die im Kontext eines sprachsensiblen Unterrichts eingesetzt werden können. Es ist jedoch wichtig, nicht den Fokus darauf zu legen, sie alle zu kennen und zwanghaft im Unterricht zu verwenden. Vielmehr sollte KI-Situationenangemessen genutzt werden. Inspiriert durch meine Erfahrungen mit Dutzenden und Kommilitonen im Makerspace-Seminar, werde ich bewusst KI-Tools wahrnehmen und mich fragen, welches Potenzial sie für meinen zukünftigen Unterricht haben könnte. Und der ausführliche biografische Bezug sollte zeigen, dass die Nutzung von KI für mich vielleicht auf meinen ersten Schritten in der Schule in Deutschland die Rettung gewesen wäre.

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